Unscharfe Konturen
Ein Raum, klar und offen gestaltet, und doch voller Geheimnisse: Der Künstler Tobias Rehberger entwarf für den Optiker Markus Nikolai das Interieur von dessen Frankfurter Filiale.
Text: Claudia Orben (form@form.de)
The Art of Design. Tobias Rehberger, 1966 in Esslingen geboren, studierte bei Martin Kippenberger und Thomas Beyrle an der Frankfurter Städelschule. Seine Objekte und Installationen waren bereits in zahlreichen internationalen Ausstellungen zu sehen.
Ohne Zweifel: Was wir nicht sogleich erkennen können, regt unsere Fantasie an.
Den Reiz des Verborgenen als Präsentationsform zu nutzen, wurde zum Konzept bei der Einrichtung des Ladenlokals eines Frankfurter Optikers. Nicht die Produkte sollten im Vordergrund stehen, sondern eine Atmosphäre geschaffen werden, die Stil durch eine klare Raumstruktur erlebbar macht. Gemeinsam mit dem Künstler Tobias Rehberger entwickelte der gelernte Optiker Markus Nikolai das Gestaltungskonzept Die beiden sind seit Jahren befreundet. Nikolai tritt auch als Musiker und Produzent mit eigenem Label in Erscheinung, seine digital generierten Klänge bereicherten bereits die Soundtracks mehrerer Hollywood Filme. Auch Werbespots, etwa für den Audi TT oder für Levis, unterlegte er mit Beats und synthetischen Melodien. Für eine Ausstellung Rehbergers, der an der Frankfurter Städelschule studiert hat, mixte Nikolai einmal eine Art musikalisches Porträt des Freundes. Rehbergers Shop Design wiederum könnte für lange Zeit die einzige Arbeit dieser Art bleiben. Er versteht sich als Künstler, nicht als Innenausstatter. Auch wenn er mit seiner Kunst oft die Mittel des Design für sich nutzbar macht.
Subtile Grenzen
Das Eckladengeschäft im Erdgeschoss des Frankfurter Roger Baus liegt ruhig und gleichzeitig zentral. Die subtil definierte Grenze zwischen dem heterogenen öffentlichen Raum und dem klar gestalteten Geschäftsraum bilden halbtransparente weiße Vorhänge vor den hohen Fenstern. Auf
Schaufensterdekoration und Vitrinen wurde verzichtet. Schließlich soll der Raum nicht vornehmlich als Vehikel zur Warenpräsentation wahrgenommen werden. Weil der Laden auf den ersten Blick nichts anderes präsentiert als sich selbst, wirken Verkaufsraum und angrenzende Werkstatt selbst wie Ausstellungsstücke.
Wie eine Insel
Helle Farbtöne bestimmen den offenen, freundlichen Charakter des Verkaufsraums, in dem ein von hinten erleuchteter, die gesamte Wand
einnehmender Brillenschrank die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Hinter den Milchglastüren des nach eigenen Entwürfen konstruierten Schranks sind
die Konturen der darin präsentierten Brillen nur unscharf zu erkennen. Eine bis auf einen schmalen Durchgang fast geschlossene rechteckige
Holztheke liegt wie eine Insel im Zentrum des Raums.
Beratungstische oder Brillen zum Anfassen sucht man vergebens. Auf ungeduldige Herumstöberer wirkt eine helle komfortable Bank wie eine dezente Aufforderung, sich zu entspannen. Das ist auch die Botschaft, die Architektur und Ambiente vermitteln: Die Entscheidung für eine bestimmte Brille ist eine Frage des persönlichen Stils, die nur in Ruhe und mit fachmännischer Beratung angemessen getroffen werden kann. Die Betonung des
Dienstleistungsethos mag betulich anmuten.
Aber fraglos ist man bei der Auswahl einer neuen Brille auf professionelle Hilfe angewiesen. Viele Fragen gilt es zu klären. Aufmerksamkeit erzeugt
die sparsame, aber gezielte Verwendung von Farbe, die der Einrichtung eine artifizielle Nuance verleiht. Wenige wie Läufer über den Boden gelegte Farbstreifen setzen lineare Akzente, die mit den runden Formen der Deckenbeleuchtung korrespondieren. Das Ensemble aus zahlreichen gefärbten Glasröhren wirkt fast wie eine Lichtdecke. Die streng kubischen Möbel sind scharfkantig verarbeitet und beinahe reduziert auf ihren Oberflächenreiz. Die unaufdringliche Ästhetik und Sachlichkeit kommuniziert das Selbstverständnis des Optikers Markus Nikolai. Alles fügt sich dem Prinzip distin- guierter Zurückhaltung und ist abgestimmt auf die ausgewählten Brillenkollektionen. Einen ganz anderen Eindruck vermittelt die Werkstatt, die - abgesehen von den Werkzeugen und Präzisionsgeräten - mit den bunt gefärbten Pressspanplatten fast wie ein Kinderzimmer anmutet. Zwei völlig verschiedene Geschichten werden also erzählt: Dort, wo es um Fragen des Stils, der Ästhetik und des Äußeren geht, betritt der Kunde eine so würdige wie dezente Bühne, die Raum für Konzentration, Eitelkeiten und Projektionen bietet. Der Sehtest und die nüchternen technischen Angelegenheiten sind hingegen eingebettet in eine durch ihre Farben viel präsentere Umgebung. Das Konzept überzeugt, da sich durch die Verlangsamung der Wahrnehmung ein neuer Blick auf den Prozess der Brillenauswahl und das Handwerk des Optikers einstellt.
Aus: FORM - Zeitschrift für Gestaltung #183, Juni 2002